“Das letzte mal als ich Weihnachten bei meinen Eltern war und alte Freunde getroffen habe, da habe ich es gemerkt. Ich gehörte einfach nicht mehr dazu.” Seit fünf Jahren lebt Thomas nun nicht mehr in Deutschland und besucht die Heimat nur einmal im Jahr. “Ich arbeite einfach viel und habe weniger Urlaubstage als in Deutschland.” Bereut hat er seine Entscheidung nach Kanada zu gehen trotzdem nicht – auch wenn er seinen Platz noch finden muss.

heimatlos

Was Thomas erlebt, ist nicht selten unter Expats, Auswanderern oder digitalen Nomaden – der Verlust der Zugehörigkeit, Heimatlosigkeit, bis hin zur Haltlosigkeit. Diese Gefühle werden besonders unter den third culture kids (*) diskutiert. Also Menschen, die die meiste Zeit ihrer Kindheit nicht in der Kultur oder dem Heimatland ihrer Eltern verbracht haben.

Ähnlich wie Jonelle Hileary (Zitat unten) beschreiben sie in zahlreichen Artikeln (*) und Büchern (*), dass ihr Zuhause überall ist, aber auch nirgendwo. Für viele ein belastendes und bereicherndes Gefühl zu gleich. Denn lange Jahre im Ausland bedeuten einerseits eine Schärfung von eigenen Werten und Einstellungen (*), jedoch auch Veränderungen im Heimatland. Die Rückkehr in die Heimat bietet die erste Gelegenheit diese Entwicklungen und den vollzogenen Perspektivwechsel zu erleben (*). Viele durchleben einen sogenannten “Rückkehrschock” (*). Dieser wird ausgelößt durch ein Erleben neuer kultureller Identität im Heimatland (*). So wie ein third culture kid eine individuelle "dritte Kultur" zwischen der Elternkultur und der Landeskultur kreiert, kann auch ein Erwachsener im Ausland zum Hybrid zwischen den Kulturen werden – mit und ohne feste Wurzeln.

zuhauselos

"Home" ist in der Übersetzung ins Deutschen doppeldeutig. Denn die deutsche Sprache bietet eine Unterscheidung zwischen Heimat und Zuhause. Wir haben also die Chance zwei Seiten zu betrachten.
Unsere Wurzeln verbinden wir mit dem Wort Heimat. Für die meisten ist die Heimat ein Ort der Kindheit – ein mit Nostalgie gefüllter Begriff. Mit diesem Wort werden Erinnerungen hervorgerufen, die aufgeladen sind mit Sehnsüchten, Träumen, Bildern, Gefühlen, Gerüchen und Geräuschen, aber auch mit Schmerz, Leid und Verlust (*). An unserem Heimatgefühl können wir wenig selbst ändern, denn es ist abhängig von unserer Vergangenheit. Was können wir tun, wenn wir zu wenig Zeit an einem Ort verbracht haben, um ihn Heimat zu nennen? Oder dieser kein Zuhause mehr ist, weil wir uns zu weit entfernt haben?
Das Zuhause ist im Gegensatz zur Heimat etwas Dynamisches. Man kann seine neue und eigene Definition von Zuhause und Zugehörigkeit entwickeln, losgelöst von Orten und Grenzen. Denn wie die Autorin Cecelia Ahern es so passend formulierte: “Zuhause ist kein Ort, es ist ein Gefühl”. Ein Gefühl, welches wir in der Gegenwart selbst beeinflussen können. Das Zuhause ist nicht unbedingt abhängig von einer Gegend oder Landschaft, sondern von Beziehungen und einem Gefühl des Angenommenseins.

Weltbürger

Wenn unser Zuhause überall sein kann, sind wir dann Weltbürger? In einer Kunden-Umfrage von Western Union gaben 2017 immerhin 57% der befragten Millennials an sich eher wie ein Weltbürger, als ein Bürger eines bestimmten Landes zu sehen (*). Auch wenn der Kundenstamm von Western Union wahrscheinlich nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist, zeigt dies einen Trend unter jungen Menschen.
Die Selbstdefinition kann unser Zugehörigkeitsgefühl maßgeblich verändern. Wenn ich mich als Deutsche/r definiere und feststelle, dass ich nicht mehr in diese Gruppe passe, kann dies zu einer Identitätskrise führen. Wenn ich aber meinen Referenzrahmen erweitere und eine abstraktere Form wähle, dann kann sich eine neue Perspektive ergeben. Als Weltbürger kann man überall Zugehörigkeit erleben und zum Beispiel in internationalen Gemeinschaften eine neue Form von Zuhause finden.

Neubürger

Wenn du dich selbst manchmal verloren fühlst, dann kann ein Perspektivwechsel helfen.

  1. Dein Zuhause ist ein Gefühl, das in dir ist. Es muss weder deine Heimat noch ein Ort sein. Der eine oder andere Gegenstand kann uns jedoch dabei helfen dieses Gefühl leichter anzuregen. Was brauchst du für dein “Zuhause-Gefühl”? Für die meisten reichen bereits ein paar besondere Dinge wie die Lieblingstasse, Fotos, weiche Socken etc.
  2. Menschen, bei denen wir uns aufgehoben fühlen, können eine Form von Zuhause sein. Mache dir dein Kreis aus Menschen bewusst, die vielleicht überall auf der Welt verteilt sind. Dies sind deine Unterstützer.
  3. Definiere dich und deine eigene Kultur. Was macht die Menschen aus, zu denen du dich zugehörig fühlst? Bist du Weltbürger? Third culture kid? Expat? Digitaler Nomade? Oder eine neue Spezies?

Auch Thomas versucht seine Definition und sein Zuhause zu finden, denn “Zeit verläuft linear. Man kann nicht einfach zurückspringen. Man muss neue Geschichten schreiben.”

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Dipl.-Psych. Benthe Untiedt